Am 8.-9. März fanden in Hamburg die German Open auf elf (!) Kampfflächen statt. Es war das erste Punkteturnier, das zur Gänze mit elektronischen Schutzwesten ausgetragen wurde. Aus Oberösterreich waren vier Kämpfer an den Start gegangen.
Michael Hübler (Jun. -43 kg)
Michael hatte das Pech den ersten Kampf bestreiten zu müssen. Die Kampfrichter und Helfer hatten sich noch nicht auf das neue System eingestellt und die daraus resultierenden Schwierigkeiten brachten gleich eine 50-minütige Verspätung mit sich.
Zu Beginn war der Kampf sehr ausgewogen, Michael konnte nach kurzer Zeit mit einer in diesem Turnier eher selten gepunkteten sauberen Paltung-Technik in Führung gehen, sein Gegner aus Weißrussland schaffte aber kurz darauf den Ausgleich. Nach drei Runden stand es 1:1, im Sudden Death konnte aber Belarus die erste Wertung verbuchen und für den Marchtrenker kam leider das Aus.
Markus Weidiger (Sen. -78 kg)
Dem Gegner aus Berlin fehlten von Anfang an die Mittel, dem oberösterreichischen Kämpfer Herr zu werden. Er probierte alles von Angriff bis Konter, war aber Markus in keiner Weise beizukommen. Vor allem die Härte in den Schlägen des Kirchdorfers war beeindruckend. In Runde drei gelang noch ein spektakulärer Momdollyo, und Markus gewann 6:0.
Auch den Spanier im zweiten Kampf konnte er mit kräftigen und sauberen Treffern anfangs auf Distanz halten. Ein unsauberer dafür extrem harter Dwit Chagi – Tiefschlag des Spaniers brachte leider die Wendung in diesem Kampf. Markus kämpft trotz gebrochenem Tiefschutz unter Schmerzen weiter, war aber durch diese Aktion, die nicht einmal mit einem Kyongo geahndet wurde, derart beeinträchtigt, dass er einen Kopftreffer übersah und er trotz hervorragender Leistung aus dem Turnier scheiden musste.
Stefan Tobisch (Sen. -58 kg)
Auch Stefan musste gleich den ersten Kampf bestreiten. Dem agilen Gegner aus Bulgarien war schwer beizukommen. Nach ausgeglichenen drei Runden und einem Stand von 2:2 sollte ein Golden Kick entscheiden. Der Gegner attackierte als Erster, Stefan verkürzte die Distanz und konnte mit einem harten Faustpunkt den Kampf gewinnen.
Im zweiten Kampf gegen Finnland schien sich die Situation aus Kampf eins zu wiederholen: Beide Kontrahenten schenkten sich nichts und nach drei Runden stand es wieder unentschieden. Stefan setzte auf die gleiche Taktik wie im ersten Kampf, jedoch bedeutete ein Treffer mit dem Schienbein (!) den Sieg für den Finnen.
Christoph Czerny (Jun. -63 kg)
Christoph ging gut vorbereitet in seinen Kampf. Sein Gegner konnte alle drei Runden hindurch mit Schienbeintechniken Punkte verzeichnen. Die Sauberkeit und Präzision lag eindeutig auf Seiten des österreichischen Nationalteamsportlers. Christoph bewegte sich gut auf der Matte, bewies ein hervorragendes Kampfauge, konnte aber den Rückstand nicht mehr wett machen. Somit ereilte ihn das gleiche Schicksal wie viele Topathleten, Weltmeister und Olympiateilnehmer: aus in der Vorrunde.
Das Turnier aus Betreuer-Sicht (Jürgen Tobisch)
Nach den ersten Kämpfen zeigten sich bereits die vehementen Unterschiede der elektronischen Schutzwesten zu den bisherigen Turnieren. Zu Beginn eines jeden Kampfes mussten die beiden Kontrahenten die Funktionstüchtigkeit der Elektronik überprüfen indem sie gegenseitig einen Kick durchführen und einen Treffer einstecken mussten. Bei manchen Kampfleitern mussten dies auch tatsächlich die Sportler und nicht deren Betreuer erledigen, was natürlich zu dem einen oder anderen härteren Treffer führte noch bevor der eigentliche Kampf überhaupt losging.
Die Trefferhärte wird je nach Gewichtsklasse bestimmt und mit einem Schwellenwert eingestellt. Die Westen reagieren nur im färbigen Teil mit einer Anzeige. Interessanterweise ändert sich Wertung (laut Hersteller in Kilojoule / cm2) je nachdem wie fest die Weste umgebunden wird. Eine eher locker sitzende Weste erleichtert es dem Gegner zu einer Punktewertung zu kommen.
Wie kommt man eigentlich zu einer Punktwertung? Prinzipiell verschiebt sich mit diesem System die Dominanz der Fußtechniken zu einer Aufwertung der Fausttechniken, was ja jahrelang gefordert wurde. Leider wurde dabei übersehen, dass der „neue Stil“ kein Taekwondo mehr im eigentlichen Sinne ist. Der Olympiaqualifizierte bis 58 kg aus dem Iran wurde mit 7:0 deklassiert, weil ihn sein Gegner mit Faustschlägen auf Distanz hielt. Der neue Stil gleicht auf den ersten Blick eher einem Boxkampf.
Saubere Beintechniken finden keine Bewertung, wenn der Einfallswinkel des Kickfußes nicht annähernd 90 Grad ist. Weiters ist die Trefferfläche eines Spanns größer als die eines Schienbeins, woraus sich die Punktewertungen erklären: harter Kick bei kleiner Fläche ergibt eher eine Punktewertung. Auf den zweiten Blick gleicht der neue Stil eher dem Kickboxen.
Bei elektronischen Westen werden nur mehr zwei Punkterichter pro Matte benötigt, die – und das ist neu – nur mehr Kopftreffer anzeigen müssen. Somit wird die Tätigkeit des Punkterichters auf ein sehr geringen Teil eingeschränkt (Kopftreffer passieren in der Regel eher selten), was immer wieder dazu führte, dass vereinzelt Punkterichter aus Langeweile ermüdeten und klare Treffer zum Kopf übersahen.
Bisherige Kampfrichterschulungen, in denen Punkteaberkennen als unbedingt vermeidbar deklariert wurde, schienen so sehr gefruchtet zu haben, dass bei diesem Turnier nur wenige Schienbeinkicks und Kniestöße aberkannt wurden.
Generell kann man sagen, dass die Ästhetik der Beintechniken, die Kombinationsfertigkeit verschiedener Kicks und die Agilität und Akrobatik der Sportler zugunsten einer harten, unsauberen und eine dem Kickboxen eher anheimstehende Kampfesweise weichen musste, um bei diesem Turnier weiterzukommen. Ich denke mit dem aktuellen technischen Stand dieses Systems geben wir das auf, was Taekwondo von anderen Kampfsportarten wesentlich unterscheidet: die technische Vielfalt.
(Mag. Jürgen Tobisch)